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Deutschland lässt liefern

Dank Corona sprengt der Onlinehandel inzwischen alle Grenzen – und damit wohl bald auch die Verkehrskapazität deutscher Innendstädte. Neue Lieferkonzepte für die letzte Meile müssen her und das Lastenrad ist einer der Hoffnungsträger. Bild: Johannes Reichel

Dank Corona sprengt der Onlinehandel inzwischen alle Grenzen – und damit wohl bald auch die Verkehrskapazität deutscher Innendstädte. Neue Lieferkonzepte für die letzte Meile müssen her und das Lastenrad ist einer der Hoffnungsträger. Bild: Johannes Reichel

Corona hat die Einkaufsrealität auf den Kopf gestellt und auch in der Zeit nach dem Shutdown hat sich der Onlinehandel nachhaltig unter den Konsumenten etabliert. Zu dieser Einschätzung gelangen die Marktexperten des IFH Köln in Deutschland. Wie das Institut vermeldet, könnte bis 2025 ein Onlineanteil von rund 21 Prozent am Einzelhandelsumsatz möglich sein – vorausgesetzt die Onlinedynamik nimmt weiter zu. Das entspräche rund 161 Milliarden Euro Onlinemarktvolumen. Doch selbst die Trendfortschreibung der aktuellen Entwicklung könnte sich sehen lassen: Hiernach wächst der deutsche Onlinehandel in den nächsten vier Jahren jährlich um rund zehn Prozent und realisiert 2025 etwa 139 Milliarden Euro Umsatz.

„Die starken Wachstumsraten unterstreichen noch einmal deutlich: Der Onlinehandel ist heute mehr als nur ein Teil des Einzelhandels, vor allem in den Branchen, in denen der Onlineanteil bereits heute bei rund 50 Prozent liegt. Das geht auch nach Corona nicht mehr weg. Die Kundinnen und Kunden von morgen werden ein breites Spektrum von Online- und Offline-Touchpoints erwarten – die Schwerpunkte verschieben sich aber immer mehr“, so Hansjürgen Heinick, Onlinemarktexperte des IFH Köln.

Die rasante Entwicklung bleibt nicht ohne Folgen für die Innenstädte. Lieferfahrzeuge, die in zweiter Reihe und auf Gehwegen halten, sind bereits heute ein Ärgernis für viele Anwohner. Hinzu kommen Probleme auch für den fließenden Verkehr, weil die zur Verfügung stehenden Straßen das steigende Verkehrsaufkommen immer schlechter bewältigen. Daran ändert auch die Mobilitätswende hin zur Elektromobilität wenig. Ein elektrisch betriebener Transporter steht genauso im Stau wie sein Dieselpendant.

Eine mögliche Lösung für mehr Leistung auf der letzten Meile sind Lastenräder. Das hat auch das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) erkannt und fördert über die Förderrichtlinie „Städtische Logistik“ seit Juli 2019 städtische Logistikkonzepte und Machbarkeitsstudien sowie die Errichtung von Mikrodepots. Hierfür stehen den Angaben zufolge insgesamt rund elf Millionen Euro zur Verfügung. Kommunen konnten sich bis Ende August 2021 bewerben, zuletzt kamen acht neue Projekte in Köln, Dresden, Berlin, Lüneburg, Bremen, Bad Honnef, Koblenz und Lahr mit insgesamt 1,1 Millionen Euro hinzu.

Aktuelle Förderprojekte für Lastenräder

Köln: Geplant ist ein Mikrodepot in Köln-Deutz in unmittelbarer Nähe zum Bahnhof Messe-Deutz, zur Innenstadt Deutz und zum Stadthaus. Aus dem Mikrodepot sollen Transporte in die Stadtteile Deutz, Kalk, Mülheim und Humboldt/Gremberg emissionsfrei mittels Cargobikes, Light-Electric-Vehicles oder nicht fossil angetriebenen Nutzfahrzeugen erfolgen. Das Vorhaben sei ein Multi-User-Depot, an dem sich neun Unternehmen aus unterschiedlichen Teilbereichen des Güterverkehrs beteiligen. Das BMDV fördert das Projekt mit rund 350.000 Euro.

Dresden: Entstehen soll ein Multi-User-Mikrodepot am Bahnhof Dresden-Neustadt zur Feinverteilung von Paketen mit Lastenrädern beziehungsweise Fahrzeugen mit emissionsfreien und lärmreduzierten Antrieben. Ziel ist laut BMDV insbesondere eine lokal emissionsfreie Abwicklung von Lieferverkehren im Kurier-Express-Paket-Markt (KEP), die durch ein Mikrodepot gebündelt werden. Mehrere KEP-Anbieter haben bereits Absichtserklärungen zur Nutzung des Mikrodepots unterschrieben. Das BMDV will die Errichtung des Mikrodepots mit rund 244.000 Euro fördern.

Berlin: Durch die Errichtung eines anbieterübergreifenden Mikrodepots auf einer Sondernutzungsfläche des Hammarskjöldplatzes an der Masurenallee (Messe Berlin) sollen Emissionen eingespart und der fließende Verkehr entlastet werden. Aus dem neuen Mikrodepot werden künftig Liefertouren für die Neue Kantstraße, die Kantstraße sowie diverse Seitenstraßen per Lastenrad und Light-Electric-Vehicle starten. Das BMDV wird die Errichtung des Mikrodepots mit rund 226.000 Euro fördern.

Lüneburg: Das neue Mikrodepot an den Sülzwiesen in Lüneburg soll es lokalen und überregionalen Logistikern ermöglichen, Gebiete im gesamten Lüneburger Stadtgebiet – insbesondere die Innenstadt – emissionsfrei zu beliefern. In zwei Containern können interessierte Partner Logistikflächen anmieten. Mehrere lokale Unternehmen sowie ein KEP-Anbieter haben bereits Interesse signalisiert. Das BMDV unterstützt das Projekt mit rund 64.000 Euro.

Bremen: Für die Freie Hansestadt Bremen wird ein Konzept entwickelt, um den städtischen Wirtschaftsverkehr nachhaltig zu gestalten und Sendungsmengen zu bündeln. Das BMDV wird das Vorhaben mit rund 77.000 Euro fördern.

Bad Honnef: Im Rahmen eines städtischen Logistikkonzepts geht es insbesondere um geeignete Maßnahmen, um Emissionen zu reduzieren und den Verkehrsfluss in Bad Honnef zu verbessern. Das BMDV ermöglicht die Erstellung des Konzepts mit rund 70.000 Euro.

Koblenz: Erstellt wird ein städtisches Logistikkonzept, das insbesondere die Einrichtung eines innenstadtnahen Logistikzentrums untersucht. Das BMDV fördert die Erstellung des Konzepts mit rund 48.000 Euro.

Lahr: Ein Citylogistik-Konzept soll Maßnahmen aufzeigen, die positive Veränderungen in der urbanen Logistik hinsichtlich der Prozesse und der eingesetzten Fahrzeuge ermöglichen. Das BMDV wird die Konzepterstellung mit rund 27.000 Euro fördern.

50.000 Lastenräder für Hamburg

Dass die Kommunen vor gewaltigen Aufgaben stehen, um die letzte Meile neu zu gestalten, hat jüngst Hamburg festgestellt. Ein interdisziplinäres Konsortium hat eine Studie zum Infrastrukturbedarf von Lastenrädern in der Letzte-Meile-Logistik erstellt und an die Hamburger Wirtschaftsbehörde übergeben.

Die 70-seitige Studie „Infrastrukturbedarf von Lastenrädern insbesondere für deren Einsatz in der Letzte-Meile-Logistik“ wurde 2021 unter der Regie der Verkehrswende-Agentur cargobike.jetzt von einem mehrköpfigen Projektteam erarbeitet. Allein der darin enthaltene „Maßnahmenkatalog und Leitfaden für ein modulares Lastenrad-Infrastrukturkonzept“ nimmt rund 20 Seiten ein. Untersucht wurden insbesondere die Bereiche City (Jungfernstieg und angrenzende Straßenzüge), Ottensen (Ottensener Hauptstraße sowie nördliche und südliche Straßenzüge) sowie Harburg (nördlich und südlich der Marienstraße). Für diese Untersuchungsgebiete wurden unter anderem Bedarfsberechnungen für Lastenrad- und Kfz-Ladezonen durchgeführt.

Die Gutachterinnen und Gutachter kommen zu folgendem Fazit: „Wenn das Ziel der Stadt, die CO2-Belastung durch Kurier-, Express- und Paketdienste bis zum Jahr 2030 um 40 Prozent gegenüber dem Jahr 2017 zu senken und zu diesem Zeitpunkt mindestens 25 Prozent der Sendungen mit alternativen Transportmitteln wie Lastenfahrrädern zuzustellen, erfolgreich umgesetzt werden soll, bedarf dies eines wesentlichen Ausbaus der Lastenradinfrastruktur.“ Die Studie geht von einer stark erhöhten Anzahl an Lastenrädern in Hamburg für Ende 2025 aus – ca. 38.000 bis 51.000 Stück (davon ca. 30 Prozent in gewerblicher Nutzung) werden erwartet.