IAA Voices Conference Special: Interview mit Nadja Gläser

Nadja Gläser ist Project Leader bei der Boston Consulting Group. Die studierte Stadtplanerin beschäftigt sich bei der Unternehmensberatung mit nachhaltiger und urbaner Mobilität – und das stets an der Schnittstelle zwischen Städten und der Industrie. Am 23. September 2022 moderiert sie im Rahmen der IAA Transportation eine Paneldiskussion unter dem Titel „The Road towards Zero Emission Urban Mobility“.

Wenn Sie sie gestalten könnten: Wie sieht die ideale Innenstadt im Jahr 2030 aus?

Die ideale Innenstadt wäre grüner, als sie es heute ist. Wir hätten öffentlichen Raum für Freizeit, für Gastronomie, zum Spielen und Treffen. Der Verkehr würde dabei sehr viel weniger Platz einnehmen.

Aber es ist ja so: Wir haben bauliche Gegebenheiten, die man nicht so schnell verändern kann. Das liegt nicht nur an dem Ideal der autogerechten Stadt aus den 1950ern, sondern auch am Prinzip der Funktionsteilung in der Stadt. Es gab für alle unterschiedlichen Bedarfe der Menschen voneinander getrennte Orte. Das hat dazu geführt, dass man den Wegen sehr viel mehr Raum zugestanden hat, als man es heute tun würde.

Das heutige Ideal der 5-Minuten-Stadt, in der man in Quartieren dank Nutzungsmischung alles innerhalb von fünf Minuten erreichen kann, ist ein hehres Ziel. Das zu erreichen, wird aufgrund bestehender Infrastrukturen sehr viel länger dauern, als wir uns wünschen und es im Sinne der Verkehrswende notwendig wäre. Ich glaube trotzdem, dass wir auf dem Weg dahin sind, den Stadtraum mehr für die Naherholung und weniger für die Mobilität zu nutzen.

Nach dem Stand der heutigen Entwicklung: Wie sieht die Innenstadt realistisch 2030 aus?

Es gibt einzelne Städte, die sehr viel progressiver als andere sind. In Hamburg zum Beispiel ist der Entwicklungsdruck groß, weil die Flächen sehr knapp sind. Städte wie Hamburg denken gleich aus zwei Logiken: Wir müssen Fläche sparen – und die Digitalisierung kann uns dabei helfen. Weil wir die Fahrzeuge und Fläche, die wir haben, klüger nutzen müssen. Die Hansestadt ist da schon recht weit.

Für diese Veränderungen braucht es ein Umdenken. Wir müssen den Menschen zeigen, dass neue Mobilitätskonzepte funktionieren – und dann von da aus weitermachen. Die Debatte wird häufig aus einer Verzichtsperspektive geführt. Es sollte jedoch vielmehr darum gehen, was die Bewohnerinnen und Bewohner einer Stadt gewinnen. Was bedeutet für Menschen „komfortable Mobilität“? Diese Fragen sollten wir uns auch bei der Entwicklung neuer Mobilitätsangebote stellen. Hier kann die öffentliche Hand sicherlich von der Industrie lernen. Ich denke da an komfortable On-Demand-Shuttles anstelle vieler individuell genutzter PKW. Das spart Fläche und Ressourcen, ohne dass die Mobilität eingeschränkt wird. Auf der anderen Seite braucht die Stadt einen verlässlichen Partner, der dazu in der Lage ist, bezahlbare Mobilität zu liefern – den Nachhaltigkeitskriterien der Stadt entsprechend.

Nadja Gläser. ©BCG

Im Moment sind viele solcher Geschäftsmodelle aber noch nicht wirtschaftlich.

Die Herausforderungen sind mir bekannt. Sharing- und Hailing-Konzepte tragen sich aktuell noch nicht eigenständig als Geschäftsmodell. Dennoch glaube ich, dass es perspektivisch bei veränderten Rahmenbedingungen möglich sein wird, neue Angebote auszurollen – mit großen Flotten und Services, von denen auch die Automobilindustrie profitieren könnte.

Dabei ist vor allem die Politik gefragt, denn wir benötigen Planungssicherheit und ambitioniertere Rahmenbedingungen durch die Städte. So könnte die Industrie besser mit neuen Konzepten reagieren, als sie das aktuell tun kann.  

Mutiger zu sein stünde jedoch beiden Seiten gut zu Gesicht. Aus Aufgaben, die zunächst als zu groß erscheinen, kann etwas Neues entstehen und damit international eine Marktführerschaft aufgebaut werden. Die Probleme, die wir in unseren Städten haben, sind ja nicht nur ein deutsches Phänomen. Politik, Gesellschaft und Industrie sollten sich nun gemeinsam neue Exportschlager überlegen.

Aber dazu braucht es viel Energie. Schaffen wir es eigentlich, all dies mit Ökostrom umzusetzen?

Wir werden die Städte nur mit 100 Prozent Ökostrom klimaneutral machen können, da sind sich die Experten weitestgehend einig. Neben dem flächendeckenden Ausbau der Wind- und Solarenergie sollten wir Konzepte für die Integration von Fahrzeug- oder Hauseigentümern in ein dezentrales Energiesystem weiterentwickeln. Vor dem Hintergrund der geopolitischen Lage könnte dezentral erzeugter Strom schon bald ein Geschäftsmodell werden.

Muss auch hier muss die Gesellschaft stärker treiben?

Auf jeden Fall. Einige deutsche Städte, u.a. München und Leipzig, haben sich als EU-Modellkommune zum Ziel gesetzt, bis 2030 klimaneutral zu sein. Jetzt brauchen wir aber auch konkrete Konzepte, mit denen das zu schaffen ist. Die Städte benötigen dafür breite Allianzen: mit der Industrie, Wohnungsbaugesellschaften, Projektentwicklern und auch mit den Bürgerinnen und Bürgern. Ein schönes Beispiel für eine solche Allianz ist das Bündnis für Wohnen in Hamburg. Hier hat die Stadt vor über 10 Jahren mit verschiedenen Playern eine Vereinbarung für beschleunigten und sozialverträglichen Wohnungsbau getroffen. Das hat Prozesse beschleunigt und durch klare Prioritäten den Druck aus dem Immobilienmarkt genommen. So etwas bräuchten wir z.B. auch für die den Ausbau der Ladeinfrastruktur. Eine Allianz aus Energieversorgern, Wohnungsbaugesellschaften und Supermärkten oder anderen Akteuren mit Flächen, auf denen sich Menschen länger als zehn Minuten aufhalten. Da kommt der Stadt nicht nur eine moderierende, sondern auch eine treibende, gestalterische Rolle zu.

Was versprechen Sie sich von der IAA TRANSPORTATION?

Ich merke, dass bei Themen, die man nur gemeinschaftlich lösen kann, häufig jeder Akteur eine eigene Marschrichtung hat. Das lösen wir nur, wenn wir miteinander reden, und zwar Face to Face. Denn nur so passiert auch was. Ich freue mich darauf, wieder diskutieren zu können. Spannend wird’s ja vor allem dann, wenn es auch mal ein bisschen kontrovers zugeht (lacht).

Vielen Dank für das Interview, Frau Gläser!