
Das Nutzfahrzeug 4.0 – wohin geht die Reise?
Bis 2030 sollen schwere Nutzfahrzeuge in Europa im Schnitt mindestens 35 Prozent weniger CO2 ausstoßen. Warum für den schweren Langstreckenverkehr der batterieelektrische Antrieb derzeit für die Reduktion von CO2-Emissionen keine Option ist und welche Optimierungspotenziale durch Industrie 4.0 und Logistik 4.0 entstehen, erläutert Dr. Kurt-Christian Scheel, Geschäftsführer beim Verband der Automobilindustrie (VDA) im Gastbeitrag.
Bis 2030 sollen schwere Nutzfahrzeuge in Europa im Schnitt mindestens 35 Prozent weniger CO2 ausstoßen. Warum für den schweren Langstreckenverkehr der batterieelektrische Antrieb derzeit für die Reduktion von CO2-Emissionen keine Option ist und welche Optimierungspotenziale durch Industrie 4.0 und Logistik 4.0 entstehen, erläutert Dr. Kurt-Christian Scheel, Geschäftsführer beim Verband der Automobilindustrie (VDA) im Gastbeitrag.
Industrie 4.0 und Logistik 4.0
Für 74 Prozent des Güterverkehrs wird das Nutzfahrzeug eingesetzt. Alle Prognosen gehen davon aus, dass dies auch in absehbarer Zeit so bleiben wird. Seinen Erfolg verdankt das Nutzfahrzeug nicht zuletzt der Tatsache, dass seine Effizienz immer weiter verbessert und dass es auf die sich wandelnden logistischen Bedürfnisse unserer verladenden Wirtschaft hin immer weiter optimiert wurde. Dies ist aktuell wichtiger denn je. Denn Industrie 4.0 und Logistik 4.0 stellen ganz neue Herausforderungen an den Transport. Es gilt, den Produktionsprozess, die Partner in der Wertschöpfungs- und Lieferkette, die Kunden – und damit letztlich natürlich auch das im Transport eingesetzte Nutzfahrzeug – durch Informations- und Kommunikationstechnologie miteinander zu vernetzen, um Transparenz, Planbarkeit und Effizienz zu erhöhen.
Mitfahrzentrale für Cargo
Den ersten Schritt dahin haben die Hersteller von Nutzfahrzeugtelematik bereits vor Jahren ermöglicht, indem sie Systeme zur Nachverfolgung von Fahrzeugen und Fracht auf den Markt brachten. Den zweiten Schritt bilden jetzt Systeme, mit denen diese Optimierung nicht nur innerhalb der Flotte eines Unternehmens erfolgt, sondern über die Nutzfahrzeuge aller Unternehmen hinweg möglich wird. Zu diesem Zweck konzipieren die Telematikhersteller ihre Systeme als offene Datenplattform, damit sie unternehmensübergreifend genutzt werden können – quasi als Online-Frachtbörse oder eine Art „Mitfahrzentrale für Cargo“.

Die Vorgabe der EU (..) ist mehr als ambitioniert und trägt den technischen und wirtschaftlichen Realitäten unzureichend Rechnung.Dr. Kurt-Christian Scheel Geschäftsführer VDA
Prinzip der steigenden Grenzkosten
Es wachsen aber nicht nur die logistischen Anforderungen an das Nutzfahrzeug, sondern auch die ökologischen. Gegenüber seinem Vorgänger aus den frühen neunziger Jahren stößt ein heutiges Nutzfahrzeug 97 Prozent weniger NOx- und Partikelemissionen pro Kilowattstunde aus. Und Kraftstoffverbrauch und CO2-Emissionen pro Tonnenkilometer wurden allein nur in den letzten zwanzig Jahren um über ein Drittel reduziert. Die Nutzfahrzeughersteller haben selbst das allergrößte Interesse, den Verbrauch ihrer Fahrzeuge so stark wie nur möglich zu senken, denn Sparsamkeit ist für ihre Kunden, die Speditionsunternehmen, das Kaufargument Nr. 1. Allerdings gilt das Prinzip der steigenden Grenzkosten, das für jeden Ökonomen und jeden Ingenieur eine Binsenweisheit ist, auch für die Reduktion von CO2-Emissionen: Jede weitere Reduktion ist mit immer höherem Aufwand verbunden als die vorangegangene.
Daher ist die Vorgabe der EU, dass schwere Nutzfahrzeuge von heute an bis zum Jahr 2030 ihre CO2-Emissionen um weitere 30 Prozent reduzieren müssen, mehr als ambitioniert und trägt den technischen und wirtschaftlichen Realitäten unzureichend Rechnung: Der batterieelektrische Antrieb kommt zwar für Nutzfahrzeuge im leichten und schweren Verteilerverkehr und für Stadtbusse in Frage. Zahlreiche Transporter sind in unseren Städten bereits seit Jahren rein elektrisch unterwegs. Bei Bussen hat die Serienproduktion 2018 begonnen, für Lkw im Verteilerverkehr startet sie in diesem Jahr. All diesen Fahrzeugen ist gemein, dass sie jeweils nur kurze Strecken mit vielen Bremsvorgängen fahren und dass sie nach einigen Stunden wieder an ihre Ladestation auf dem Betriebshof zurückkehren. Für den schweren Langstreckenverkehr ist der batterieelektrische Antrieb hingegen derzeit keine Option – schon deswegen nicht, weil es an einer bedarfsgerechten, europaweiten Ladeinfrastruktur entlang der Autobahnen fehlt.
Synthetische Kraftstoffe als sinnvolle Alternative
Als Alternativen stehen LNG zur Verfügung und langfristig auch der Wasserstoffantrieb. Allerdings fehlt derzeit auch hier für ein bedarfsgerechtes Tankstellennetz. Hier hat die Politik die Aufgabe, gemäß der EU-Richtlinie über den Aufbau der Infrastruktur für alternative Kraftstoffe den Ausbau europaweit voranzutreiben. Ein Erfolg versprechen der und praktikabler Weg wäre auch der Einsatz CO2-armer bis CO2-freier synthetischer Kraftstoffe. Sie bedürfen keiner neuen Betankungsinfrastruktur. Zudem würden sie in allen Fahrzeugen, den neuen und den Bestandsfahrzeugen, die CO2-Emissionen senken. Die Hebelwirkung wäre damit beträchtlich. Allerdings muss dazu auch die Politik eine Anrechnung dieser Kraftstoffe auf die Flottenemissionen zulassen. Dazu konnte sich die EU bei ihrer Entscheidung vom Februar allerdings nicht durchringen. Spätestens beim Review im Jahr 2022 sollte sie dazu aber bereit sein. Denn die Verantwortung für die Erreichung der hochambitionierten CO2-Ziele, die die Politik vorgegeben hat, kann sie nicht auf die Nutzfahrzeughersteller allein abwälzen.