
Platooning im Realitätscheck
Im Windschatten fährt es sich leichter. Professionelle Radrennfahrer wissen das zu schätzen. Und so wurde das physikalische Gesetz auf autonom fahrende Lkw übertragen, die über viele Kilometer hinweg dicht an dicht in Kolonnen unterwegs sind. Verbrauch und Emissionen sollen dadurch sinken. Doch hält Platooning, was es verspricht?
Im Windschatten fährt es sich leichter. Professionelle Radrennfahrer wissen das zu schätzen. Und so wurde das physikalische Gesetz auf autonom fahrende Lkw übertragen, die über viele Kilometer hinweg dicht an dicht in Kolonnen unterwegs sind. Verbrauch und Emissionen sollen dadurch sinken. Doch hält Platooning, was es verspricht?
Platooning in Kürze
Im Frühjahr und Herbst verrät ein Blick in den Himmel, dass die Natur effektive Lösungen entwickelt hat, mit denen sich bremsende Luftströme minimieren lassen. In dieser Zeit fliegen Zugvögel in markanten Formationen lange Strecken zu ihren Brut- und Winterquartieren. Allerdings sind Gänse und Reiher nicht hintereinander unterwegs. Sie bevorzugen die V-Formation, da die vom Rand der Flügel aufsteigenden Luftwirbel den nachfolgenden Vögeln Auftrieb geben – dies bewirkt eine ähnliche Entlastung wie der Windschatten bei Radfahrern. Das Windschaftten-Prinzip wird seit einigen Jahren auf das Lkw-Fahren übertragen: Beim Platooning schließen sich mehrere teilautonom fahrende Lkw zu einem Konvoi zusammen. Sobald die Lkw über die so genannten elektronischen Deichseln, ein für die Car-to-Car-Kommunikation entwickeltes spezielles WLAN, aneinandergekoppelt sind, übernimmt die Technik das Fahren der Folgefahrzeuge. Einmal in ein Platoon eingereiht, halten die hinteren Fahrzeuge automatisch die Spur, messen Abstände und bremsen in Sekundenbruchteile selbstständig, wenn vorn das Tempo gedrosselt wird. Bis auf den Führungs-Lkw bewegt sich sich jeder Lkw jeweils im Windschatten des Vorausfahrenden. So sollen Kraftstoffverbrauch und CO2-Emissionen sinken. Die Fahrer sitzen weiterhin in den Führerhäusern und überwachen das Geschehen oder können sich anderen Aufgaben widmen. Verlässt ein Fahrzeug die Kolonne, übernimmt der Fahrer wieder die Kontrolle und Verantwortung über seinen Lkw.
Praxistest mit Erfolg
In den letzten Jahren gab es unter den Nutzfahrzeugherstellern einen regelrechten Hype um das Thema Platooning – das als nächster Schritt auf dem Weg zum autonomen Lastwagen angesehen wird. Aber taugt die Technologie in der Praxis auf vollgestopften Straßen? DB Schenker, MAN und die Fachhochschule Fresenius haben automatisierte Konvois unter realen Bedingungen auf der A9 getestet. Im Forschungsprojekt EDDI ("Elektronische Deichsel - Digitale Innovation"), das vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) gefördert wurde, fuhren Berufskraftfahrer sieben Monate lang mit zwei elektronisch vernetzten MAN-Lkw in einem Abstand von bis zu 21 Metern zwischen den Niederlassungen von DB Schenker in Nürnberg und München. Nach rund 35.000 gefahrenen Testkilometern lobten die Trucker den Komfort und das allgemeine Sicherheitsgefühl.
Die Hochschule Fresenius untersuchte während der Erprobung die psychologischen und neurophysiologischen Auswirkungen auf die Fahrer. „Allgemeines Sicherheitsempfinden und Vertrauen in die Technik spiegeln sich in der Bewertung konkreter Fahrsituationen durch die Fahrer wider“, schildert Prof. Dr. Sabine Hammer vom Institut für komplexe Systemforschung. Als „unangenehm“ wurden lediglich einscherende Verkehrsteilnehmer empfunden. Die Fahrer würden daher einen geringeren Abstand von nur zehn bis 15 Metern bevorzugen, um künftig Lückenspringen zu verhindern. EEG-Messungen zeigten zudem keine Unterschiede hinsichtlich Konzentrationsvermögen oder Ermüdungserscheinungen zwischen Platoon- und normalen LKW-Fahrten. Alle 2.000 gefahrene Kilometer musste aktiv eingegriffen werden – deutlich seltener als erwartet. Zudem konnten Einsparungen von drei bis vier Prozent beim Treibstoffverbrauch nachgewiesen werden. Die erhoffte Ersparnis von bis zu acht Prozent stellte sich damit aber nicht ein.
Abkehr vom Platooning
Daimler Trucks hat als einer der Platooning-Vorreiter dagegen nach jahrelangen Feldversuche in den USA sein Engagement 2019 eingestellt. Dabei sind Amerikas Highways für die Tests besonders gut geeignet: Sie sind lang, gerade, der Verkehr fließt. Stundenlang geht es in demselben Tempo voran. Doch die Kraftstoffeinsparungen fielen in der Praxis geringer aus als erhofft. Bei jeder Auf- und Abfahrt muss der Konvoi entkoppelt werden, um andere Fahrzeuge einfädeln zu lassen. Dann muss der Folge-Lkw kräftig beschleunigen, um wieder Anschluss zu finden – was einen Großteil der Effizienzgewinne auffrisst. In Deutschland müssten zudem Staus mit Stop- und Go-Verkehr einberechnet werden. Hier würde auch das ausgefeilteste Platooning-System nichts nützen. Das Unternehmen sieht daher im Platooning momentan kein Geschäftsmodell für Kunden und setzt seinen Schwerpunkt künftig auf autonome Lkw im Einzelbetrieb. Die Zukunft von Platooning hängt auch von einheitlichen rechtlichen und technischen Rahmenbedingungen in den EU-Ländern ab. Nur wenn die Lkw grenzüberschreitend im geschlossenen Konvoi fahren können und sich die Modelle verschiedener Marken aneinander koppeln, wird das Thema alltagstauglich für die Branche. Derzeit testen in dem von der EU geförderten Projekt Platooning Ensemble mehrere Lkw-Bauer – inklusive Daimler – zusammen mit den Zulieferern NXP, ZF, WABCO, Bosch, Continental und Brembo noch bis Mitte 2021 eine markenübergreifende Platooning-Lösung.
Neue Technologien für Platooning
Für Track for Trucks kommt die Testreihe gelegen. Das Start-up plant für 2022 ein Echtzeit-Matchmaking für Platooning-fähige LKWs, die sich so während ihrer Tour auf einer Autobahn spontan finden und verbinden können. Sobald ein Platoon geformt ist, berechnet der Service wie viel Kraftstoff gespart wird. Wird das Platoon von einem hinteren Lkw verlassen, wird eine Ausgleichzahlung berechnet und zum vorderen Lkw transferiert, um die Ersparnisse zu teilen. Der Transfer soll absichern, dass der vordere Fahrer auch Lkw konkurrierender Speditionen im Windschatten fahren lässt. Einer der größten Nachteile ist laut Brancheninsider immer noch die Bemannung der nachfolgenden Lkw bei bisherigen Platooning-Projekten. Die kalifornische Firma Peloton möchte künftig selbstfahrende Lkw in das Platoon einbinden. Mit dem "Automated Following“-System fährt der Trucker den vorderen Laster und lässt die hinteren Nutzfahrzeuge unbemannt folgen. Per drahtloser Fahrzeug-zu-Fahrzeug-Kommunikationstechnologie wird die Bedienung hinsichtlich Lenkung, Bremsen und Beschleunigung auf die anderen Lkw übertragen. Die Übertragung erfolgt so schnell, dass nur eine minimale Latenz entsteht. Vielleicht der technische Durchbruch für das Platooning.