Rad mit Anhänger im Park

Mikromobilität: Lastenräder für die letzte Meile

Der Megatrend Urbanisierung hat auch Folgen für die Mobilitätsbranche. Der Lieferverkehr in den Städten ist eine Herausforderung. Zwischen drohendem Verkehrsinfarkt und dem Kundenwunsch nach pünktlicher Lieferung entwickelt die Branche neue Lösungen für alte Probleme. Das Lastenrad ist eine Option.

Der Megatrend Urbanisierung hat auch Folgen für die Mobilitätsbranche. Der Lieferverkehr in den Städten ist eine Herausforderung. Zwischen drohendem Verkehrsinfarkt und dem Kundenwunsch nach pünktlicher Lieferung entwickelt die Branche neue Lösungen für alte Probleme. Das Lastenrad ist eine Option.

Die Transportalternative

Tausende von Kilometern bringen sie hinter sich, scheinbar mühelos, dank logistischer Meisterleistungen. Per Containerschiff, Flugzeug oder Gigaliner überqueren Waren und Produkte Kontinente, Ozeane und Länder. Doch egal, ob von weit oder fern, am Ende der Lieferkette, auf der letzten Meile, warten die größten Hürden. Enge Altstadtgassen, abgelegene Wohnviertel oder volle Fußgängerzonen erschweren die problemlose und zeitige Lieferung in den Innenstädten. Allein 2018 wurden deutschlandweit rund 3,5 Milliarden Pakete ausgeliefert, mehr als zwölf Millionen Sendungen pro Werktag. Und die Tendenz ist steigend. Um fast fünf Prozent im Jahr soll die Paketflut zunehmen. Eine mögliche Lösung? Lastenfahrräder. Was wie ein Ruf aus alten Zeiten wirkt, gibt dank Internet der Dinge, Smartphone und Elektroantrieb ein Versprechen für die Zukunft. Emissionsfrei und flexibel einsetzbar, platzsparend und 25 km/h schnell, finden Lieferungen und Kundenfahrten per Lastenrad pünktlich ihren Weg zum Ziel. Die sogenannten Cargobikes kann jeder nutzen – denn Lastenfahrräder verlangen weder Führerschein noch Versicherung.

Modernes Lastenrad von VW. Bildquelle: Volkswagen Nutzfahrzeuge

Das Revival des Lastenrads

In den 1920er- und 1930er-Jahren prägten Transporträder schon einmal das Stadtbild. Handwerker, Bäcker und Kurieren nutzten das Gefährt. Mit dem Siegeszug des Automobils verschwanden sie von der Bildfläche. In den Niederlanden und Dänemark feierte das Lastenrad in den 1980er-Jahren sein Revival. Rund 60 Hersteller sind heute hierzulande auf Cargobikes spezialisiert. Design und Antrieb werden immer weiter verbessert. Rund 40.000 Exemplare wurden 2018 in Deutschland verkauft. Insgesamt machen sie am Anteil der verkauften E-Bikes vier Prozent aus, damit bleiben sie weiterhin eine Nische. Aber gerade als Alternative zum Stadtauto oder kleinen Lieferwagen erfreuen sich die Lastenräder wachsender Beliebtheit. Bund, Land und Kommunen haben die Vorteile erkannt und fördern Lastenräder mit Kaufprämien und steuerlichen Vorteilen. Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) unterstützt beispielsweise Unternehmen, Selbständige, Hochschulen, Forschungseinrichtungen, Krankenhäuser und Kommunen beim Kauf mit Zuschüssen von bis zu 2.500 Euro.

Gemeinsam mit DHL, DPD und weiteren Paketdienstleistern testet Hermes seit 2018 den Einsatz von Lastenrädern in Berlin. Bildquelle: Hermes

Mikrodepots für die Stadt

Im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg testeten ein Jahr lang die fünf größten Paketdienstleister wie Hermes, DHL und DPD Deutschlands die Auslieferung per Lastenfahrrädern. Täglich waren bis zu elf Lastenräder im Einsatz. 38.000 Kilometer wurden beim Projekt KoMoDo (Kooperative Nutzung von Mikro-Depots durch die Kurier-, Express-, Paket-Branche für den nachhaltigen Einsatz von Lasträdern in Berlin) per Pedale zurückgelegt und 160.000 Paket ausgeliefert. Ziel war ein alternatives Konzept für den städtischen Lieferverkehr zu erproben. Mitte 2019 zogen die teilnehmenden Unternehmen Bilanz: Vor allem Stadtteile mit einer hohen Empfängerdichte und geeigneten Sendungsstruktur (Paketanzahl, Volumen und Gewicht) seien für den Ansatz prädestiniert. Voraussetzung: Geeignete Mikrodepots in zentralen Lagen müssten dafür bereitgestellt und kooperativ betrieben werden. Jetzt sollen Berlin weit passende Standorte für weitere Mikrodepots entstehen.

VW: Vom Auto- zum Lastenradhersteller

Auch Automobilhersteller haben den Trend erkannt. Volkswagen präsentierte auf der IAA Nutzfahrzeuge 2018 ein eigenes Elektro-Lastenrad. Das VW Cargo e-Bike ist als Eigenentwicklung ein Lastenrad mit Automatikgetriebe und Pedelec-Antrieb, alles gekoppelt an eine Lithium-Ionen-Batterie, die Energie für 100 Kilometer spendet. Auf der zweirädrigen Vorderachse können alternativ eine Ladefläche, ein Kindercabrio oder eine 500 Liter große Transportbox montiert werden. Das Ladegewicht beträgt inklusive Fahrer maximal 210 Kilogramm. Damit ist das Lastenrad ideal für Tischler, Maler und Familien. Dank einer innovativen Neigetechnik bleibt das Transportgut auf dem Fahrrad stets waagerecht, da nur das Rad, nicht aber die Ladefläche in die Schräge geht. Mit einer Breite von nur 89 Zentimetern passt es problemlos durch enge Gassen oder Fußgängerzonen. Ballonreifen sorgen für extra Fahrkomfort. Gefertigt wird das Lastenrad im Nutzfahrzeug-Werk Hannover in einem 240 Quadratmeter großen Areal. Bei einem Werksgelände von über eine Millionen Quadratkilometer wird der Bau von Elektro-Lastenrädern aber wohl nicht so schnell zum Kerngeschäft des Konzerns.

Studie: Brennstoffzellen-Kraftpaket soll Lastenbikes mehr Power geben. Bildquelle: DLR/IDBerlin

Lastenrad reloaded

Das Lastenrad fast neu erfinden möchte eine Firma aus Bremen. Das Unternehmen Rytle kombiniert E-Lastenräder mit patentierten Ladebox-Systemen sowie städtischen Hubs zu einem vernetzten Gesamtsystem. Die weiß-grün gehaltenen Lastenräder Movr verfügen über eine Gasgriff-Anfahrhilfe. Auch ein Modell mit induktiver, also kabelloser Ladestation gibt es. Hochmoderne Technik für ein Lastenrad, das einer Rikscha ähnelt. Doch statt Passagieren lassen sich auf der Rückbank mit wenigen Handgriffen knapp zwei Meter hohe Kleincontainer andocken. Je nach Wunschlieferung werden diese Boxen vorab zusammengestellt und vom Fahrer von den verschiedenen Ladestationen, den Hubs, zum Ziel gebracht. Das Start-up arbeitet darüber hinaus mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt an einem Modell mit Brennstoffzelle. Das schnelle Befüllen des Wasserstofftanks soll einen ganztägigen Betrieb ohne aufwendige Ladezeiten und Batteriewechsel ermöglichen. Aufgrund seines modularen Aufbaus ist die Technologie für bestehende Lastenradkonzepte geeignet.

RYTLE Imagefilm

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Video RYTLE Imagefilm

Das Besondere der drei Komponenten Lastenrad, Container, Hub ist ihre Verbindung durch hochintelligente Software. In Kooperation mit IT-Fachleuten im indischen Bangalore hat Rytle eine „Machine-to-machine-Kommunikation“ entwickelt. Die Hubs wie auch die Container und „Movr“ übermitteln in Kombination mit Smartphones jederzeit Inhalt, Standort und weitere Daten. Die Technik ist darauf ausgelegt, dass Kuriere mit einer Datenbrille arbeiten können. Sie schauen in die Box, und anhand von QR-Codes wird ihnen angezeigt, welches Paket sie als Nächstes entnehmen müssen. So weiß der Fahrer genau, was er transportiert. Gleichzeitig gibt der „Movr“ permanent Informationen über Zustand, Ort und Nutzungsprofil an das System, was wiederum der Empfänger online verfolgen kann. Damit finden nicht nur zur Weihnachtszeit Päckchen und Pakete noch schneller ihren Weg zum Kunden. Denn auf der letzten Meile können Lastenräder wie der „Movr“ oder das „VW Cargo e-Bike“ weitgehend auf Straßen verzichten – sie nutzen einfach den Fahrradweg.