Kinder winken einem Lkw-Fahrer im Fahrerhaus zu

Abbiegeassistent: Schluss mit totem Winkel

Jeder Berufskraftfahrer fürchtet den toten Winkel beim Rechtsabbiegen. Neue Assistenzsysteme wie der Abbiegeassistent für Lkw bieten mehr Sicherheit und sollen Unfälle vermeiden.

Jeder Berufskraftfahrer fürchtet den toten Winkel beim Rechtsabbiegen. Neue Assistenzsysteme wie der Abbiegeassistent für Lkw bieten mehr Sicherheit und sollen Unfälle vermeiden.

Gefahr beim Rechtsabbiegen

Die Dimensionen eines Lkw sind beachtlich: Bis zu vier Meter beträgt die Höhe eines Lkw, knapp 20 Meter die Länge, bis zu 40 Tonnen das Gewicht. Und es geht sogar noch größer: Der Lang-Lkw - auch Gigaliner oder EuroCombi genannt - misst bis zu 25,25 Meter. Zwar unterstützt ein ganzes Spiegelsystem den Fahrer auf der Beifahrerseite bestehend aus Haupt-, Weitwinkel- und Rampenspiegel, doch ein Restrisiko bleibt. Ein Unfall mit den Giganten der Straße kann lebensgefährlich sein. Im Jahr 2018 starben laut dem Jahrbuch zur amtlichen Verkehrsunfallstatistik des Statistischen Bundesamtes deutschlandweit 54 Fußgänger und 58 Radfahrer bei Zusammenstößen mit Lkw über 3,5 Tonnen.

Nach Schätzungen der Unfallforschung der Versicherer (UDV) geht rund die Hälfte der getöteten Radfahrer auf das Konto von Abbiegeunfällen. Gerade der Stadtverkehr ist unberechenbar und erfordert von den Fahrern höchste Konzentration: Ampeln, Beschilderungen, Gegenverkehr, Verkehr von der Seite, Fußgänger und Radfahrer. Abhilfe gegen dieses Unfallszenario versprechen Abbiegeassistenten. Sie sollen den Lkw-Fahrer auf Personen und bewegliche Objekte aufmerksam machen, die sich rechts neben dem Fahrzeug befinden, und vor möglichen Kollisionen während des Abbiegens warnen. Eine Pflicht, die Schwerfahrzeuge mit den Assistenten auszustatten, besteht derzeit noch nicht. Pflicht werden die lebensrettenden Systeme für Lkw im Jahr 2024. Viel zu spät nach Meinung vieler Kritiker. Lang-Lkw müssen dagegen schon ab Juli 2020 entsprechend ausgestattet sein, Bestandsfahrzeuge zwei Jahre später.

Abbiegeassistenzsysteme leisten einen wesentlichen Beitrag, um schwerwiegende Unfälle zu verhindern.
Dr. Joachim DamaskyVDA-Geschäftsführer

Initiative für mehr Sicherheit

Das Bundesverkehrsministerium (BMVI) hat daher die „Aktion Abbiegeassistent“ ins Leben gerufen. Ziel ist es, Unternehmen, Landkreise, Städte und kommunale Betriebe heute schon dazu zu bewegen, die eigenen Flotten von Lkw und Bussen schnellstmöglich mit Assistenzsystemen nachzurüsten. Mit der Aktion ist ein Förderprogramm verbunden. 2019 wurden zehn Million Euro an Fördergeldern für freiwillige Aus- und Umrüstung bereitgestellt. Mitte 2019 verkündete das BMVI 114 offizielle Partner, darunter große Discounter, Speditionen und Paketdienste. Der VDA unterstützt die Initiative. "Abbiegeassistenten können Gefahrensituationen mit Hilfe von Sensoren zuverlässiger erkennen und den Fahrer warnen. Erste Abbiegeassistenzsysteme sind für bestimmte Fahrzeuge bereits heute verfügbar", erklärt VDA-Geschäftsführer Dr. Joachim Damasky. "Neben Abbiegeassistenten sind bereits heute Kamera-Monitor-Systeme verfügbar, sowohl als Erstausstattung als auch zur Nachrüstung. Sie können dem Fahrer helfen, andere Verkehrsteilnehmer zu erkennen, die in den Spiegeln nicht ausreichend wahrnehmbar sind. "

Perfektes Zusammenspiel: Abbiege-Assistent und MirrorCam bieten noch mehr Sicherheit

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Video Perfektes Zusammenspiel: Abbiege-Assistent und MirrorCam bieten noch mehr Sicherheit

Alles im Blick

 

Herzstück des Abbiegeassistenten von Mercedes-Benz sind zwei Radarsensoren am Rahmen auf der Beifahrerseite vor der Hinterachse des Lkw. Das System ist so ausgerichtet, dass es die Länge des gesamten Lastzugs plus zwei Meter nach vorn und bis zu zwei Meter nach hinten abdeckt. Das unterstützt den Fahrer auch beim Linksabbiegen, um Kollisionen zu verhindern, sollte das rechte hintere Ecke des Fahrzeugs ausschert. Daneben kommt die Mirror Cam von den Zulieferern Bosch und Mekra Lang zum Einsatz. Das System ersetzt die beiden großen Außenspiegel durch Videosensoren an der Fahrzeugkabine. Auf den hochauflösenden Monitoren im Cockpit kann so rechtzeitig auf Radfahrer oder Fußgänger hingewiesen werden. Je nach Fahrsituation passt sich die Darstellung an: Bei der monotonen Autobahnfahrt geht der Kamerablick weiter nach hinten, während im wuseligen Verkehr in der Stadt ein möglichst großer Blickwinkel erfasst wird. Bei Fahrten im Dunkeln verbessert ein erhöhter Kontrast die eingeschränkte Sicht. Der Verzicht auf den klassischen Außenspiegel bietet auch aerodynamische Vorteile, da es den Luftwiderstand reduziert und Spritverbrauch senkt.

Der MAN BirdView aktiviert sich automatisch und ermöglicht dem Fahrer eine 360°-Vogelperspektive auf die unmittelbare Umgebung des Nutzfahrzeugs einschließlich sämtlicher toter Winkel. Vier außen angebrachte HD-Kameras mit Fischaugenobjektiv liefern Videobilder in Echtzeit an einen Monitor. Das Video-Abbiege-System - kurz VAS - arbeitet mit 150°-Weitwinkel-Kameras, die ein Livebild an das Fahrzeugdisplay am Armaturenbrett oder einen an der Beifahrerseite angebrachten Zusatzmonitor schicken. Ultraschallsensoren an Fahrzeugfront und Beifahrerseite erfassen zusätzlich jedes Objekt, das sich in der unmittelbaren Umgebung des Fahrerhauses befindet und ein optisches Signal auslöst, sobald sich jemand im Gefahrenbereich befindet. Alle diese Lösungen sind aber nur ab Werk zu haben. Scania hat mit dem Side Defender eine Nachrüstlösung entwickelt. Das Radarsystem ist auch für ältere Lkw-Generationen geeignet. Weitere Anbieter für Nachrüstlösungen sind Mobileye, Mekra, Luis Technology oder Wühlhorst Fahrzeugbau. Der ADAC hat die verschiedenen Systeme kürzlich getestet.

Die Mirror Cam von Bosch mit Außenkameras und Monitoren im Cockpit passt sich der jeweiligen Fahrsituation an. Bildquelle: Bosch

Mehr Bewusstsein für Verkehrssicherheit schaffen

Neben zukunftsweisenden Technologien spielt ebenso das THema Verkehrserziehung eine wesentliche Rolle. Volvo Trucks hat zwei Sicherheitsschulungen ins Leben gerufen, die Schulkindern vermitteln sollen, wie sie sich im Straßenverkehr bei Begegnungen mit Nutzfahrzeugen sicher verhalten. Seit dem weltweiten Start der Programme 2015 haben mehr als eine Million Kinder daran teilgenommen. Das Unterrichtsmaterial liegt in zehn Sprachen vor und kann von Schulen, Transportunternehmen und vielen anderen eingesetzt werden. Gemeinsam mit modernen Assistenzsystemen ein großer Schritt hin zu mehr Sicherheit im Verkehr.